Veranstaltungsformat Erzählsalon
In den Erzählsalons wird unter der Leitung der Salonnière gelebte Geschichte gemeinschaftlich zusammengetragen. Jeder hört die Erzählungen der anderen. Kein Erzähler wird unterbrochen, keine Geschichte wird kommentiert. Alle Teilnehmer eines Erzählsalons sind gleichberechtigt. Wer gemeinsam erzählt, lacht und weint, wer im wahrsten Sinne des Wortes Gefühle ausdrückt und teilt, belebt Beziehungen oder schafft neue. Emotionen schaffen Vertrauen: Das ist die innovative Leistung des Erzählsalons, diese Emotionen in die Wirtschaftssprache zu transferieren. So wird im Erzählsalon nicht nur Vergangenes bewältigt, sondern es entstehen auch Impulse für die Zukunft: Menschen finden zueinander, intensivieren und initiieren Netzwerke. Sie entwickeln kollektiven Mut – Stück für Stück entstehen neue Ideen für ihre Arbeits- und Lebensräume. Sie werden zu Trägern innovativer Projektideen und können so als Unternehmer zu starken Akteuren der Zivilgesellschaft werden.
Der Erzählsalon entstand parallel zum Kerngeschäft des Berliner Unternehmens Rohnstock Biografien, das sich 1998 auf lebensgeschichtliches Erzählen und Erinnern in Buchform spezialisiert hat. Firmengründerin Katrin Rohnstock hatte die Veranstaltungsform eigens entwickelt, weil in den Anfangsjahren immer wieder Menschen in ihr Büro kamen, die ihre Lebensgeschichte zwar erzählen, aber nicht aufschreiben lassen wollten. Um diese Menschen nicht einfach wegzuschicken, kam sie auf die Idee, ihnen einen Raum zu geben, in dem sie ihre Geschichte erzählen können. Sie knüpfte dabei an die Tradition des jüdischen Sabbats an: Einmal wöchentlich treffen sich diesem Brauch zufolge am Freitagabend die Familienmitglieder, um einander zu berichten, was sie in der vergangenen Woche erlebt haben. Im Mittelpunkt steht der Erfahrungs- und Wissensaustausch.
Das Rohnstock-Team praktiziert den von Katrin Rohnstock entwickelten Erzählsalon seit 2001 in verschiedenen Zusammenhängen – sowohl in privater Atmosphäre, im geschlossenen Kreis, als auch öffentlich und vor Publikum: So veranstaltete Rohnstock Biografien 2005 anlässlich des 60-jährigen Gedenkens an das Ende des Nationalsozialismus mit dem Berliner Hotel Adlon Kempinski und Zeitzeugen-TV eine Reihe von Erzählsalons mit Emigranten, die ihre Exil-Geschichte erzählten. Gemeinsam mit dem Wirtschaftsförderer Berlin Partner lud sie 2012 regelmäßig in den „Wirtschafts-Erzählsalon“, in dem sich Unternehmerinnen und Unternehmer über ihre Geschäftsideen, Erfolge und Niederlagen austauschten.
Auch in anderen Bereichen wurden Erzählsalons praktiziert, um den zwischenmenschlichen Erfahrungstransfer zu fördern: in der Altenarbeit, im Gesundheitswesen, im intergenerationellen oder interkulturellen Dialog, in Städten und Stadtteilen, Institutionen, Museen und Unternehmen. Seit mehr als zehn Jahren bildet Rohnstock Biografien in Seminaren Salonnièren und Salonniers aus (unter anderem Mitarbeiter von Mehrgenerationshäusern und Pflegeeinrichtungen). Sie lernen, einen Erzählsalon so zu führen, dass er für alle Beteiligten eine Bereicherung darstellt. Dazu bedarf es Herz, Kompetenz und eines besonderen Geschicks im Aufspüren von Geschichten